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„Wir stehen ganz am Anfang einer grundlegenden Transformation.“

Interview mit Prof. Dr. Kerstin Hennig, Professorin für Real Estate Management und Leiterin des EBS Real Estate Management Institute (REMI) an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht

Welche großen Trends spielen langfristig für die Immobilienwirtschaft eine Rolle?

Prof. Dr. Kerstin Hennig: Es gibt Megatrends, die seit Jahrzehnten unsere Welt und somit auch die Immobilienwirtschaft verändern, hier insbesondere die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Die für die Immobilienbranche relevantesten Trends sind sicherlich die Urbanisierung beziehungsweise Suburbanisierung, Digitalisierung, Konnektivität, Mobilität, Nachhaltigkeit sowie Sicherheit und Gesundheit. Einige wurden durch die Pandemie, die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine sowie die jüngsten Marktveränderungen deutlich verstärkt. Unsere Volkswirtschaft und damit eng verbunden unsere Immobilienwirtschaft befinden sich am Beginn einer grundlegenden Transformation. Es ist wichtig, sich nicht nur damit zu beschäftigen, wie die Immobilie der Zukunft aussieht, sondern wie sich die Anforderungen der Immobiliennutzer bereits verändert haben und künftig verändern werden, sodass Immobilien und damit auch unsere Städte bedarfsgerecht und zukunftsfähig gestaltet werden. Bei den Nutzern ist eine Haltungsänderung längst zu beobachten. Der Trend zum remote Arbeiten, verbunden mit flexiblen Sharing-Modellen sowohl im Bereich Mobilität als auch beim Arbeiten, wie zum Beispiel Desk-Sharing, sind nicht mehr wegzudenken. Interessanterweise gewinnt auf der anderen Seite der persönliche Austausch, die Aufenthaltsqualität verstärkt an Bedeutung, kombiniert mit einem wachsenden Stellenwert der Nachhaltigkeit und dem Einsparen von Ressourcen. Der heutige Bestand entspricht jedoch noch nicht diesen Wünschen. In der Folge werden wir noch sehr viel Veränderung sehen in sämtlichen Assetklassen.

Nennen Sie vier Punkte, die für die Zukunftsfähigkeit der Immobilienwirtschaft am wichtigsten sind.

Prof. Dr. Kerstin Hennig: Flexibilität, Agilität und Resilienz, aber auch die Lebensqualität mit einer gesunden Work-Life-Balance. Daraus leiten sich große Forschungsthemen ab, die auch wir im Fokus haben, zum Beispiel die Zukunft des Büros und das Social Impact Investing, wobei letzteres ein verhältnismäßig junges Forschungsfeld ist. Neben der wirtschaftlichen und ökologischen Komponente geht es künftig auch um die konsequente Umsetzung und Integration der sozialen Komponente und den gesellschaftlichen Mehrwert. Das ist unsere Verantwortung und die kostbare Ressource Mensch im Verhältnis zur bebauten Umwelt erhält einen neuen Stellenwert.

Inwiefern sind dabei moderne Arbeitsbedingungen von Bedeutung?

Prof. Dr. Kerstin Hennig: Eine sehr große Rolle spielen diese schon allein im Wettbewerb um Fachkräfte, dem „War for Talents“, der eine der größten Herausforderungen für die Zukunft bleiben wird. Es wird immer schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und auch zu halten. Die Branche muss attraktive Arbeitsbedingungen bieten, um Talente anzuziehen, und sich ständig weiterentwickeln, um den veränderten Anforderungen der jüngeren Generation gerecht zu werden. Und hierbei geht es nicht allein um den Ort der Arbeit, sondern immer mehr um die Arbeitsbedingungen. Und der Wettbewerb um talentierte Mitarbeiter wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Um unsere Arbeitsproduktivität zu optimieren, werden wir jedoch deutlich innovativer werden müssen, wie zum Beispiel durch flexiblere Arbeitsmodelle, zunehmende Integration von KI, Automatisierung und datenbasierte Lösungen zur Effizienzsteigerung.

Und wodurch wird derzeit der größte Transformationsdruck für die Immobilienbranche ausgelöst?

Prof. Dr. Kerstin Hennig: Der größte globale Veränderungsdruck geht von dem Megatrend Nachhaltigkeit (ESG) aus. Dieser Themenkomplex spielt in der Gesellschaft und auch bei Investoren und Nutzern von Immobilien eine zunehmende Rolle und verlangt neue Lösungen, was sich auch in einem entsprechenden rechtlichen Rahmenwerk widerspiegeln muss. Ebenfalls zu den großen Treibern der Transformation in der deutschen Immobilienwirtschaft gehören Marktunsicherheit, Digitalisierung und Regulierungen. Das ist auch das Ergebnis des aktuellen „Innovationsbarometer der deutschen Immobilienwirtschaft“, die Studie wird jährlich in Zusammenarbeit mit Real I.S. durchgeführt. Das Marktumfeld hat sich neben Corona auch durch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, durch die hohe Inflation, die steigenden Zinsen und den Fachkräftemangel extrem verändert. Die Kombination aus exogenen Schocks, volkswirtschaftlichen Entwicklungen sowie dem Impact der Megatrends stellt uns alle vor die Herausforderung, mit einem sich transformierenden Umfeld intelligent umzugehen. Das erzeugt Druck auf die Branche, sich anzupassen und neue Lösungen zu finden. Regulierungen wie die EU-Taxonomie und die Offenlegungsverordnung erhöhen zunehmend die Komplexität. Auf die Umsetzung der Sozial-Taxonomie dürfen wir gespannt sein.

Inwiefern spielt Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle für Innovationen in der Immobilienbranche?

Prof. Dr. Kerstin Hennig: Nachhaltigkeit und ESG sind im jüngsten Innovationsbarometer eindeutig als entscheidende Treiber für die Innovation in der Immobilienbranche bewertet worden. Durch das UN Millennium Agreement und das UN-Paris-Abkommen wurden konkrete Ziele für soziale und ökologische Nachhaltigkeit global verankert und werden derzeit auf lokaler Ebene umgesetzt. Ganz praktisch ist es so, dass heute Immobiliennutzer und Investoren verstärkt Wert auf Nachhaltigkeit legen (müssen), und die Immobilienunternehmen vor diesem Hintergrund und aufgrund eines zunehmend engeren regulatorischen Korsetts nachhaltige Strategien und Lösungen entwickeln müssen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn es wird künftig zu den größten Herausforderungen gehören, nachhaltige Prozesse erfolgreich – und das schließt die ökonomische Komponente ein – zu implementieren und Immobilien gemäß den ESG-Zielen – sofern bekannt – konform zu gestalten. Dies bedeutet, neue, innovative Wege zu gehen.

In welchem operativen Immobilienbereich ergibt sich dadurch beispielsweise Anpassungsbedarf?

Prof. Dr. Kerstin Hennig: Zum Beispiel im Segment „Konstruktion & Realisierung“ gibt es großen Transformationsdruck, da dort aktuell sehr viele Veränderungen stattfinden. Auch hier ist Nachhaltigkeit der Schlüsseltreiber zur Innovation. Die Branche muss sich mit neuen Bautechnologien, umweltfreundlicheren Materialien und effizienteren Prozessen der Entwicklung und des Recyclings auseinandersetzen. Der Innovationsbedarf besteht darin, nachhaltige und technologisch fortschrittliche Lösungen zu finden, um den steigenden Anforderungen auch in Zukunft noch gerecht zu werden. Die größte Herausforderung liegt im Bestand und neben der ökologischen und sozialen Komponente in der wirtschaftlichen Machbarkeit.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Prof. Dr. Hennig.

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